Foto: Thorsten Futh

Dieter Rexroth (1941–2024)

Vivaldis ›Vier Jahreszeiten‹ in einer zeitgenössischen Bearbeitung, gespiegelt von Texten Friedrich Hölderlins über die Zeit und das Leben, und vorab Musik von Fanny Hensel: Dies war Dieter Rexroths letztes, für ihn so typisches, weil vielschichtiges, unterschiedliche Kunstgenres einbeziehendes Konzertprogramm mit Kent Nagano und dem DSO, zu Ostern in der Philharmonie. In der Nacht zum Dienstag, 9. April 2024 ist der ehemalige Intendant des der Rundfunk-Orchester- und Chöre-Gesellschaft (ROC) und damit des DSO in Berlin mit 83 Jahren verstorben.

Besuchte man ihn zu Hause, betrat man das gemütliche Wohnzimmer in seiner Altbau­wohnung nahe des Kurfürstendamms, wurde einem schnell klar, Dieter Rexroth war ein Gelehrter, einer, in dessen Leben Bücher eine bedeutende Rolle spielten. Sie reihen sich neben Hunderten von CDs in Regalen, stapeln sich auf dem Boden, auf Tischen, auf dem ausladenden Konzertflügel in der Mitte des Raumes. Eine kreative Unordnung. Dieter Rexroth war ein Mann des Geistes, ein Intellektueller, kunstsinnig, neugierig und zugleich – und das ist selten – ein Mann des Genusses, der Lebensfreude und des feinen Humors.

Seine berufliche Vita in Stichworten: Geboren 1941 in Dresden, Studium der Komposition, des Dirigierens, der Musikwissenschaft, Germanistik und Philosophie an den Univer­si­tä­ten in Köln, Wien und Bonn. Promotion über Arnold Schönberg. Erster Direktor des Paul-Hindemith-Instituts in Frankfurt am Main von 1972 bis 1991. Von 1980 bis 1994 Programm­ge­stal­ter für die Alte Oper in Frankfurt. Mitbegründer und Künstlerischer Leiter der ›Frankfurter Feste‹. 1996 bis 2006 Intendant und Leitender Dramaturg der ROC. Seit 2000 Künstlerische Leitung des neu gegründeten Festivals Young Euro Classic, seit 2006 zusätzlich Künstlerischer Leiter der ›Kasseler Musiktage‹. Neben alldem: Verfasser und Herausgeber zahlloser Publikationen – über Ludwig van Beethoven, Hans Werner Henze und Wolfgang Rihm und viele andere mehr.

»Mit Dieter Rexroth«, so DSO-Ehrendirigent Kent Nagano, »hat die Welt einen ihrer einflussreichsten Visionäre verloren, einen angesehenen Akademiker, einen Gelehrten und zutiefst scharfsinnigen Philosophen, der durch seine strahlende Persönlichkeit dazu beitrug, uns auf eine glänzendere Zukunft auszurichten – in der wir zugleich die Vergangenheit hören und respektieren. Doch Dieter Rexroth war für mich persönlich viel mehr. Sein Ideal, dass Qualität niemals kompromissfähig ist, stimulierte immer wieder unser aller Gewissen und erinnerte daran, dass die Kunst nie den Trost der Banalität oder des Status quo akzeptieren darf. Ein lieber Freund ist gegangen.«

Dieter Rexroths Programme, die wir seit 1999 immer wieder die Freude hatten, in Berlin und der Welt aufzuführen, seine dramaturgische Inspiration, sein Witz und seine Fantasie, werden fehlen. Wir sind traurig – und dankbar für viele Konzerte, intensive Gespräche, wertvolle Ideen. Danke, lieber Dieter! Die Rezitation von ›Hälfte des Lebens‹ von Friedrich Hölderlin war Dir ein großes Anliegen im Konzert am 30.03. dieses Jahres: »Mit gelben Birnen hänget / und volle mit wilden Rosen / das Land in den See, / ihr holden Schwäne, / und trunken von Küssen / tunkt ihr das Haupt / ins heilignüchterne Wasser.« Es war dieser Optimismus, der Dich bis zuletzt auszeichnete. Wir werden Deinen Geist – dankbar an Dich zurückdenkend – bewahren und weiterleben.

Thomas Schmidt-Ott, Direktor des DSO
Berlin, 9. April 2024