Igor Levit wurde 1987 in Nizhni Nowgorod geboren, studierte in Hannover und gewann 2005 als jüngster Teilnehmer beim Arthur-Rubinstein-Wettbewerb in Tel Aviv die Silbermedaille, den Sonderpreis für Kammermusik, den Publikumspreis und den Sonderpreis für die beste Aufführung des zeitgenössischen Pflichtstücks. Heute gehört er zu den großen Pianisten seiner Generation. Beim DSO war der Wahl-Berliner bereits mit Schostakowitschs Erstem und Beethovens Drittem Klavierkonzert zu Gast, zudem begleitete er das Orchester zu mehreren Gastspielen. Im Rahmen des Festivals ›Brahms-Perspektiven‹ kehrt er mit Schumanns Klavierkonzert zum DSO zurück.

Herr Levit, als sich Robert Schumann erstmals mit Musik für Klavier und Orchester befasste, schrieb er an Clara: »Ich kann kein Konzert schreiben für den Virtuosen; ich muss auf etwas andres sinnen«. Was ist denn dieses »Andere«, das er schließlich in Form der a-Moll-Fantasie für Klavier und Orchester zu Papier brachte – und später zu seinem einzigen Klavierkonzert erweiterte?

Ich denke, das »Andere« ist die endgültige Auflösung von allem Solistischen und Nicht-Solistischen. Was schon bei Beethoven aufschien, wird hier auf die Spitze getrieben. Es ist zwar ein Konzert für Klavier und Orchester, aber es gibt hier keine Hierarchien mehr, das ist essenziell. Zudem ist das Stück ungeheuer  improvisatorisch, man spielt in einem beinahe Miles Davis'schen Sinne – indem man nicht spielt. An vielen Stellen besteht das Material des Klaviers aus kleinen,  gestischen Einwürfen und nicht aus voll ausgeprägten melodischen Strukturen.  Das Klavier ist stellenweise nicht einmal mehr Begleiter des Orchesters, sondern  wirft nur sporadisch einen kleinen Satz ins Gespräch und entfernt sich dann wieder. Das sind wohl die wichtigsten Besonderheiten dieses Konzerts.

Und doch braucht es, anders als von Schumann postuliert, natürlich einen Virtuosen ...

Ja, es ist brutal schwer, ein echtes Virtuosenstück, und gerade im Finale steht die Virtuosität durchaus im Vordergrund.

Robin Ticciati wird es am 17. Februar dirigieren. Haben Sie schon einmal zusammengearbeitet?

Leider nein. Wir hätten das Schumann-Klavierkonzert eigentlich schon einmal gemeinsam beim Scottish Chamber Orchestra machen sollen, wurden bizarrer Weise aber beide gleichzeitig krank. Insofern ist unser Zusammenspiel jetzt eine  Premiere! Allerdings sind wir uns schon einmal zufällig hier in Berlin beim Einkaufen auf dem Markt begegnet – wir wohnen gar nicht weit voneinander …

Das Konzert erklingt im Rahmen eines Festivals, das den Symphonien von Brahms gewidmet ist, seinen Vorbildern, Wegbegleitern, Nachfolgern. Wer sind Ihre  Vorbilder?

Das sind sehr unterschiedliche Menschen. Natürlich gehören meine Lehrer dazu, genauso wichtig sind mir aber auch Weggefährten und Freunde, die für mich prägend waren. Das können Künstler sein, Gastronomen, Anwälte, Politiker, Schriftsteller. Ich suche mir meine Freunde nicht nach ihrem Beruf aus, sondern ich begegne Menschen, von denen ich lernen kann.

Wenn Sie neue Werke lernen, beschäftigen Sie sich lange nur mit dem Notentext und gehen erst spät ans Instrument. Warum?

Den Prozess des Lesens finde ich manchmal sogar interessanter als den Prozess des Spielens. Sofern es meine Zeit erlaubt, versuche ich immer, wenn ich mir ein neues Stück erarbeite, erst einmal zu hören und zu lesen. Mittlerweile habe ich genügend Erfahrung, um mir beim Lesen vorzustellen, was die Hand machen wird. Und das Schöne dabei ist: Wenn ich mich dann ans Klavier setze, ist es kein unbekanntes Stück mehr.

Igor Levit
»Busoni ist einer meiner Helden, neben Beethoven ein absoluter Fixstern. Sein Denken, sein Schreiben und Komponieren sind für mich essenziell.«

Igor Levit

In einem Ihrer aktuellen Solo-Programme, aber auch auf Ihrer CD ›Life‹ finden sich, und das nicht zum ersten Mal, Werke von Ferrucio Busoni. Was schätzen Sie an ihm?

Busoni ist einer meiner Helden, neben Beethoven ein absoluter Fixstern. Sein Denken, sein Schreiben und Komponieren sind für mich essenziell. Seine  Herangehensweise an das, was ein Interpret sein muss und kann, und sein Plädoyer für die Freiheit sind mir sehr nahe. Matti Raekallio, der mich in Hannover unterrichtete und mittlerweile einer meiner engsten Weggefährten ist, ist ein absoluter Busonianer und hat mir die Beschäftigung mit dem Komponisten nahegelegt. Dass er mich mit Busoni zusammengebracht hat, werde ich ihm nie vergessen. [lacht] Busonis Traktat ›Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst‹ ist wie eine Art Bibel für mich, ebenso wie sein Denken, sein Klavierspiel und sein Komponieren. Ich halte ihn für einen der bedeutendsten Komponisten überhaupt, einen, der sträflichst! nicht für voll genommen wird. Es ist kriminell, wie mit Busoni zum Teil umgegangen wird …

Nicht nur Busoni, auch die Klavierbearbeitung im Allgemeinen – der Sie sich selbst gerne widmen – spielt im Konzertleben nur eine Nischenrolle, anders als noch vor 100 Jahren. Woran liegt das?

Ich muss jetzt wirklich aufpassen, sonst sage ich irgendetwas sehr, sehr Unnettes. [lacht] Man führt diese Gespräche ja gerne: »Warum wird immer so eine kleines  Repertoire gespielt, warum so häufig das Gleiche?« Dann folgt die Kritik an den  bösen Veranstaltern und Plattenfirmen und das Bedauern der armen Künstler, die  nichts dürfen. Mich langweilt das mittlerweile zutiefst. Wir als Künstler müssen  uns selbst diesen kritischen Fragen stellen. Wenn das Interesse und Bemühen für  ein breites Repertoire bei einigen der ersten Reihe stärker ausgeprägt wäre, dann  müssten wir nicht mehr darüber sprechen. Dabei gibt es ja bewundernswerte Beispiele: Anne-Sophie Mutter etwa, die immer wieder neues Repertoire erschließt, ist in dieser Hinsicht ein großes Vorbild. Oder jemand wie Hilary Hahn,  die vor ein paar Jahren 27 neue Stücke in Auftrag gegeben hat. Das sind  Lichtblicke, und ich versuche ebenfalls, mir diesbezüglich Mühe zu geben. Aber  ich würde mir wünschen, das wäre noch ausgeprägter. Ich bin Künstler, also rede ich über die Verantwortung meiner Leute.

Das Gespräch führte MAXIMILIAN RAUSCHER.