Orchesterfoto DSO
Video ›Orchester für die Demokratie‹ des DSO

Menschen aus über 20 Nationen spielen im Deutschen Symphonie-Orchester Berlin zusammen. Kein Wunder also, dass das DSO, das Musik von, mit und für Menschen aus aller Welt auf die Bühne bringt, seine musikalische »Sprache« als Stimme gegen jede Form von Diskriminierung einsetzt. In den Saisons 2023/2024 und 2024/2025 nahm es in ausgewählten Konzerten Themen wie Demokratie, kulturelle Vielfalt und gesellschaftliche Diversität in den Blick. 

Das Thema Rassismus griff das DSO mit Uri Caines Passion um den ermordeten Bürgerrechtsaktivisten Octavius Catto auf. Antisemitismus steht im Hintergrund von Aaron Zigmans Oratorium ›Émigré‹, das eine bewegende Geschichte aus dem jüdischen Exil in Shanghai auf die Bühne brachte. Fragen von Utopie und Hoffnung beschäftigten Navid Kermani im Zusammenhang mit Beethovens Neunter Symphonie. Mit ›Friede auf Erden‹ setzte sich das Orchester gemeinsam mit Iris Berben und Michel Friedman für Menschenrechte und ein friedvolleres Miteinander ein.

Das DSO schloss sich mit diesem Projekten der Kampagne »Orchester und Theater für die Demokratie« des Deutschen Bühnenvereins an, innerhalb derer sich Kulturinstitutionen mit vielfältigen Aktionen und Veranstaltungen gegen völkische Ideologien und Rechtsextremismus positionieren.

Auf dieser Seite präsentieren wir Ihnen einen kleinen Rückblick.
 


22.10.2023
Utopie und Hoffnung mit Navid Kermani

Kein normales Konzert erwartete das Publikum an diesem Abend. Navid Kermani, der zu den einflussreichsten literarischen und intellektuellen Stimmen Deutschlands zählt, trat inmitten der Musiker:innen und an der Seite von DSO-Chefdirigent Robin Ticciati als Sprecher in Beethovens Neunter Symphonie auf. Mit seinen Texten hinterfragte der Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels die »Freuden-Symphonie« auf so noch nicht dagewesene Weise und schlug einen politisch relevanten Bogen in die Gegenwart. 

Videotrailer zum Konzert mit Navid Kermani am 22.10.2023

»Wir leben in einer Zeit der Kriege! Spätestens seit dem Irakkrieg 2003 sind sie immer näher an uns gerückt – bis die Front jetzt mitten durch Europa verläuft. Erst recht mit Blick auf die jüngsten Geschehnisse in und um Israel wird Beethovens Utopie wieder zu der Verzweiflungshoffnung, die sie für ihn selbst war«, so benannte Navid Kermani den Ausgangspunkt für die Auswahl seiner Texte, mit der er Beethovens Symphonie konfrontierte. Auf diese Weise öffnete der Schriftsteller und Orientalist einen Assoziationsraum für die Neunte, der bis in unsere politische Gegenwart reicht. 

Zum Auftakt erklang die Deutsche Erstaufführung von Helen Grimes ›Meditations on Joy‹, einem Orchesterwerk, das 2019 im Auftrag des DSO, des Los Angeles Philharmonic und der BBC entstand, bedingt durch die Corona-Pandemie aber erst verspätet zur Aufführung gelangte. Grime ließ sich dabei von ungenannten Gedichten inspirieren; sie ist davon überzeugt, dass Freude den Menschen auch dann erfüllen kann, wenn er es gar nicht erwartet: »Gerade vor dunklem Hintergrund hebt sie sich dann besonders deutlich ab.«


31.10. + 03.11.2024
Émigré – Jüdisches Exil in Shanghai

Foto: Hyesoo Chung

Während des Nationalsozialismus fanden mindestens 18.000 jüdische Geflüchtete Aufnahme und Rettung in Shanghai. Sie hatten dennoch mit einer verordneten Ghettoisierung, Kriegseinwirkungen, Inflation und Mangelversorgung zu kämpfen. Vor diesem historischen Hintergrund hat der US-amerikanische Komponist Aaron Zigman ein modernes  Oratorium komponiert, das von der Liebe zweier Menschen Ende der 1930er-Jahre erzählt. ›Émigré‹ ist ein triumphales, ein lebensbejahendes Werk, das nach dem überwältigenden Erfolg in Shanghai und New York beim DSO am 3. November 2024 erstmals in Europa aufgeführt wurde. Unter der Leitung des Dirigenten Long Yu stand dem DSO neben einem prominent besetzten Ensemble auch der Rundfunkchor Berlin zur Seite.

Aaron Zigman

gehört zu den prominenten Komponisten der USA. Zu mehr als 70 Hollywoodfilmen und Fernsehprogrammen hat er die Soundtracks geschrieben, darunter ›Wie ein einziger Tag‹, ›Brücke nach Terabithia‹ oder ›Sex and the City‹. Seine Musik verbindet den Hollywoodsound mit Anklängen an Puccini oder Bernstein. Für den Pianisten Jean-Yves Thibaudet hat Zigman das Klavierkonzert ›Tango Manos‹ komponiert. Sein Oratorium ›Émigré‹ entstand 2023 nach einem Libretto von Mark Campbell und weiteren Texten von Brock Walsh.

Gesprächskonzert

Unter den geflüchteten Jüdinnen und Juden befanden sich mehr als 450 Musiker:innen. Dem kulturellen Leben, das sie im Exil entfalteten, widmete das DSO zudem ein Gesprächskonzert am 31. Oktober 2024 in der W. Michael Blumenthal Akademie mit Sophie Fetthauer, Spezialistin für Exilmusik, das in Zusammenarbeit mit dem Jüdischen Museum Berlin stattfand. Ein Streichquartett des DSO mit Olga Polonsky und Lauriane Vernhes (Violine), Francesca Zappa (Viola) und Claudia Benker-Schreiber (Violoncello) spielt dazu Werke von Erwin Schulhoff, Wolfgang Fraenkel, Otto Joachim, Aaron Avshalomov, Aaron Zigman, Chen Gexin und Ding Shan-de.

01./02.05.2025
›Friede auf Erden‹

Rede Michel Friedmans im Konzert am 01.05.2025

Am 1. und 2. Februar 2025 präsentierte das DSO ein weiteres wegweisendes Projekt auf der Philharmonie-Bühne. Mit dem Konzertwochenende sprach sich das Orchester für Menschenrechte und ein friedvolleres Miteinander aus. 

Im Zentrum der DSO-Konzerte stand die Tondichtung ›Also sprach Zarathustra‹ von Richard Strauss. Das epische Werk setzt sich mit der Frage nach individueller Verantwortung auseinander, die angesichts der erschütternden Erfahrungen des 20. Jahrhunderts und der aktuellen politischen Lage noch heute, lange nach Entstehung der Komposition omnipräsent ist. Die Schauspielerin Iris Berben stellte der Musik eine Rezitation von Friedrich Nietzsches ›Zarathustra‹ sowie kritische Gedanken des Philosophen Andreas Urs Sommer gegenüber. Eine zusätzliche Brücke zur Gegenwart schlug der Jurist, Philosoph, Publizist und Autor Michel Friedman in einer Rede über die Bedeutung der Menschenrechte.

Im Konzert erklangen zudem Lili Boulangers Vertonung des 24. Psalms und Johannes Brahms’ hoffnungsvolles ›Schicksalslied‹. Arnold Schönbergs Chorwerk ›Friede auf Erden‹, ein Appell für mehr Zuversicht inmitten dunkler Zeiten, bildete des Ausklang des Abends.

Mit Michel Friedman und Iris Berben wurde das Konzertprojekt von gleich mehreren prominenten Unterstützer:innen begleitet. Berben, die lange schon öffentlich für Toleranz und gegen Antisemitismus eintritt, erhielt für ihr politisches Engagement u. a. das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse und wurde vom Zentralrat der Juden in Deutschland mit dem Leo-Baeck-Preis ausgezeichnet. Michel Friedman veröffentlichte mehrere Bücher, ist Honorarprofessor an Frankfurt University of Applied Sciences und war geschäftsführender Direktor des Center for Applied European Studies. Seit 2022 ist er Mitglied im Stiftungsrat ›Orte der deutschen Demokratiegeschichte‹ und des Jüdischen Museums Berlin. Friedman erhielt für seine Verdienste den französischen Orden ›Offizier der Ehrenlegion‹ und das ›Bundesverdienstkreuz‹, zudem 2024 die Goethe-Plakette der Stadt Frankfurt am Main.Die musikalische Leitung der Konzerte lag in den Händen des kolumbianischen Dirigenten Andrés Orozco-Estrada.


15.06.2025
Uri Caines ›The Passion of Ottavius Catto‹

Videotrailer zum Konzert mit Uri Caine am 25.06.2025

Mit einem außergewöhnlichen Programm am 15. Juni 2025 setzte das DSO ein starkes musikalisches Zeichen gegen Ausgrenzung und Rassismus: 

In ›The Passion of Octavius Catto‹ erzählt der US-amerikanische Pianist und Komponist Uri Caine von der rassistisch motivierten Ermordung des Bürgerrechtsaktivisten Catto. Unter der Leitung von André Raphel brachte das DSO das Werk – eine eindrucksvolle Synthese aus Klassik, Avantgarde, Gospel und Jazz – zur Europäischen Erstaufführung, gemeinsam mit einem Jazz-Trio um Uri Caine, der Sängerin Barbara Walker, dem BiPoC-Vokalensemble ›A Song for You‹ sowie dem Bundesjugendchor. 

Am 10. Oktober 1871, dem Tag der Bürgermeisterwahl in Philadelphia, wurde der US-amerikanische Bürgerrechtsaktivist, Pädagoge und Baseballspieler Octavius Catto auf seinem Weg ins Wahllokal vom weißen Rassisten Frank Kelly ermordet. Mehr als 140 Jahre später, in einer Zeit wachsender gesellschaftlicher Spannungen in den USA und im Schatten der ›Black Lives Matter‹-Bewegung, schrieb Uri Caine ihm eine moderne Passion u. a. mit Texten von Catto – nicht nur als musikalisches Porträt, sondern als klare Stellungnahme gegen Rassismus und für Gerechtigkeit. Caine lehnt sein Werk in der Form, den wechselnden Stimmungen und Instrumentierungen an barocke Passionen etwa von Johann Sebastian Bach an. Für den Sound greift er vor allem auf das vielfältige Erbe afroamerikanischer Musiktraditionen wie Gospel, Jazz aber auch Funk zurück.

Aus dieser Vielfalt schöpft auch die Zeitgenossin Jessie Montgomery, die dem DSO-Publikum auch in der Spielzeit 2025/2026 im Rahmen des Programmschwerpunkts ›Afrodiaspora – Composing While Black‹ wieder begegnet. Das DSO eröffnete den Abend mit ihrer ›Hymn for Everyone‹, einer musikalische Geste des Zusammenhalts und »Meditation für Orchester«. Von humanistischen Ideen ist auch Felix Mendelssohn Bartholdys Fünfte Symphonie durchdrungen, die im Anschluss erklang. Sie entstand anlässlich des 300. Jubiläums der Augsburger Konfession und erinnert an die Kraft von Glauben und kultureller Identität in Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche.

Das DSO dankt der Beauftragen der Bundesregierung für Kultur und Medien für die Unterstützung im Rahmen des Programms ›Exzellente Orchesterlandschaft Deutschland‹.