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Karina Canellakis im Gespräch über ihr DSO-Debüt am 30.03.

Die New Yorkerin Karina Canellakis studierte Violine am Curtis Institute in Philadelphia und Dirigieren an der Juilliard School in New York. Nach dem Gewinn des ›Sir Georg Solti Conducting Award‹ 2016 und mehreren aufsehenerregenden Einspringer-Dirigaten gab sie ihr Debüt bei zahlrei-chen renommierten Orchestern in Nordamerika und Europa. Im September 2019 tritt sie beim niederländischen Radio Filharmonisch Orkest ihren ersten Chefposten an. Am 30. März gibt sie ihren Einstand beim DSO.

Frau Canellakis, Sie haben Ihre Karriere als Geigerin begonnen, waren Mitglied der Orchesterakademie der Berliner Philharmoniker und haben beim Chicago Symphony Orchestra gespielt. Wann begann Ihr Interesse am Dirigieren?

Schon sehr früh. Da mein Vater Dirigent ist, lagen bei uns immer Partituren herum, die ich studierte. Mit zwölf Jahren habe ich in der Musikschule erste Dirigierkurse besucht, doch erst, als ich als Mitglied der Karajan-Akademie unter vielen großartigen Dirigenten spielte, habe ich das Dirigieren ernsthaft in Erwägung gezogen – und schließlich auch studiert. In meinen Zwanzigern habe ich als Geigerin gearbeitet und war damit auch sehr glücklich, aber irgendetwas hat mir dann doch immer gefehlt ...

Wie wichtig sind für Sie Ihre Erfahrungen als Orchestermusikerin beim Dirigieren?

Meine musikalischen Entscheidungen als Dirigentin speisen sich tatsächlich aus dem Orchesterspiel, vor allem aber aus dem, was ich in vielen Jahren des Kammermusizierens gelernt habe. Etliche der großen Streichquartette sind parallel zu Symphonien entstanden, und darüber habe ich meinen eigenen Zugang zur Musiksprache vieler Komponisten gefunden.

Wie definieren Sie Ihre Rolle als Dirigentin?

Die meisten Dirigenten, besonders meiner Generation, legen großen Wert auf kooperatives Arbeiten. Wir versuchen, für die Musiker vor uns eine Atmosphäre zu schaffen, in der sie ihr Bestes geben und sich zugleich musikalisch so frei wie möglich fühlen können. Aber wie das geht, ist ein großes Mysterium [lacht]. Anders als das Geigenspiel kann einem das niemand beibringen. Da hängt viel von der eigenen Persönlichkeit ab. Historisch gesehen, erleben wir aktuell eine aufregende Zeit, denn die Mauern zwischen Orchestern und Dirigenten sind gefallen, und ich selbst pflege einen eher freundschaftlichen Umgang mit den Musikern.

Gerade am Anfang einer Karriere begegnet man vielen Orchestern zum ersten Mal. Wie gehen Sie damit um?

Bei der ersten Begegnung kann man schon mal etwas nervös werden, fast wie bei einem ersten Date. Allerdings kommt mir meine Vergangenheit oft zu Hilfe. Es passiert schon mal, dass plötzlich eine Konzertmeisterin vor mir sitzt, mit der ich mit 15 Jahren im Sommercamp befreundet war. [lacht] Oder dass ich Leute aus meinem Studium oder der Karajan-Akade-mie wiedertreffe. Die Musikwelt ist letztendlich doch eine kleine. Durch meine Berliner Jahre kenne ich auch ein paar DSO-Mitglieder, und das erleichtert den Einstieg dann erheblich. Abgesehen davon muss man der Sache einfach ihren Lauf lassen. Auch die Musiker müssen sich daran gewöhnen, wie neue Dirigenten aussehen, wie sie sich bewegen, wie sie sprechen. Am zweiten Probentag spielt das dann schon keine Rolle mehr.

Karina Canellakis über Bartóks ›Konzert für Orchester‹
»Der dritte Satz ist pure Magie, dunkel, ätherisch und verschattet, und der letzte reißt die Zuhörer geradezu aus den Sitzen. Amazing stuff!«

Karina Canellakis über Bartóks ›Konzert für Orchester‹

Ihr DSO-Debüt am 30. März eröffnen Sie mit einem Werk, zu dem der Kritiker Eduard Hanslick einst fragte, »wie man einen so grässlichen, jedes feinere Gefühl empörenden Stoff zu musikalischer Darstellung sich wählen konnte«: Antonín Dvořáks ›Mittagshexe‹ – großartige Musik, aber mit einer schrecklichen Geschichte.

Allerdings, damit kann man die Leute wirklich schockieren. [lacht] Und die ›Mittagshexe‹ ist ja nur eine von mehreren Tondichtungen Dvořáks, die alle recht schauderhafte Geschichten erzählen. Aber diese Volksmärchen von Jaromír Erben gehören für die Tschechen zum kulturellen Erbe und spielen eine ähnliche Rolle wie die der Gebrüder Grimm für Deutschland. Ich liebe diese Musik, und dirigiere alle Tondichtungen Dvořáks gerne. Die ›Mittagshexe‹ ist wunderschön, aufregend, extrem gut orchestriert, und erzählt die Geschichte überaus anschaulich.

Und dann kommt Ligetis Violinkonzert ...

... ein ziemlicher Kontrast! Es ist ein Violinkonzert wie kein anderes, mit einer ungewöhnlich kleinen, intimen Orchesterbesetzung. Die Violine klingt oft gar nicht wie eine Violine; sie ist ein Gefäß für die unterschied-lichsten Klänge, sie intoniert verschiedene Instrumente und Stimmungen und erschafft einen unglaublichen Klangraum, der sich weit außerhalb der »traditionellen« Musiksprache bewegt, die wir bei Dvořák und, zu-mindest spieltechnisch, selbst noch bei Bartók finden, der außer dem stark angerissenen Pizzicato keine erweiterten Techniken erfordert. Ligeti hingegen verwendet diese in Hülle und Fülle, und die Partitur ist einfach wahnsinnig. [lacht] Es freut mich auch, dass ich dabei endlich einmal mit Pekka Kuusisto zusammenarbeiten kann.

Bartóks »Konzert für Orchester« ist ein moderner Klassiker, dessen Deutsche Erstaufführung das DSO (damals RIAS-Symphonie-Orchester) in seinem zweiten öffentlichen Konzert 1947 spielte. Was schätzen Sie daran?

Bartók ist mir unter den Komponisten des 20. Jahrhunderts einer der liebsten. Das »Konzert« ist recht bemerkenswert, gerade wenn man sich seine Entstehungszeit in Erinnerung ruft, als Bartók seine letzten Jahre fern der Heimat verbrachte, krank und in Geldnöten. Man hört darin das Echo der Sehnsucht und die Schatten der ungarischen Volksmusik, die den Keim seines musikalischen Materials bilden. Die Instrumentation ist zauberhaft, etwa wenn im zweiten Satz die Instrumente als Paare und in verschiedenen Intervallen auftreten. Das Stück ist mathematisch geplant und organisiert, Bartók notiert am Ende jedes Abschnitts so-gar eine Zeitangabe für den Dirigenten, und doch fühlt man sich nicht gegängelt – anders etwa als bei Mahler [lacht]. Der dritte Satz ist pure Magie, unglaublich atmosphärische »Nachtmusik«, dunkel, ätherisch und verschattet, und der letzte reißt die Zuhörer dann mit seinem rustikalen Tanzrhythmus geradezu aus den Sitzen. Amazing stuff!

Sie haben einige Jahre in Berlin gelebt. Wie ist es, wieder einmal hier zu sein?

Großartig. Meine Berliner Zeit liegt fast 15 Jahre zurück, in meiner Erinnerung war alles etwas dreckiger und verrauchter als heute [lacht], ich wohnte in Moabit und kaum jemand sprach Englisch. Ich kam damals aus New York, und Berlin hat mein Leben verändert. Noch heute habe ich viele Freunde in der Stadt und komme jedes Mal »nach Hause«. Das Konzert am 30. März ist für mich etwas ganz Besonderes, denn ich habe zwar schon oft in der Philharmonie als Geigerin gespielt, stehe aber nun zum ersten Mal am Dirigentenpult! Das bedeutet mir sehr viel.

Das Gespräch führte MAXIMILIAN RAUSCHER.