Mein Weg zur Partitur ist vom Singen geprägt
Binnen weniger Jahre hat Mirga Gražinytė-Tyla eine beeindruckende Karriere hingelegt. 2011 begann die litauische Dirigentin als Zweite Kapellmeisterin am Theater Heidelberg, gewann dann den renommierten ›Salzburg Festival Young Conductors Award‹, wechselte nach Bern und 2014 ans Salzburger Landestheater. Parallel wurde sie zum Assistant Conductor, 2016 zum Associate Conductor des Los Angeles Philharmonic ernannt. Im September 2016 trat sie, mit 29 Jahren, als Musikdirektorin des City of Birmingham Symphony Orchestra die Nachfolge von Dirigenten wie Sir Simon Rattle und Andris Nelsons an. Mit den DSO-Nachrichten sprach sie über ihren Werdegang und das Programm ihres DSO-Debüts am 7. Dezember.
Frau Gražinytė-Tyla, Sie haben einen eher ungewöhnlichen Weg ans Orchesterpult genommen: Anders als die meisten Kollegen absolvierten Sie kein Instrumentalstudium, sondern kommen vom Chordirigieren. Wie kam es dazu?
Der Zufall spielte dabei eine große Rolle. Ich habe schon früh mit Chören gearbeitet und bin nach meiner Schulzeit in Vilnius an die Kunstuniversität Graz gegangen, um dort Chordirigieren zu studieren. Es waren großartige Professoren, die mir das Orchesterdirigieren nahelegten. Der Gedanke war mir zuerst fremd bis erschreckend, aber dann habe ich nach und nach das Repertoire für mich entdeckt, das ich viel weniger kannte als die Vokalmusik. Aus purer Neugierde habe ich mich dann auf das Orchester- und Opernrepertoire konzentriert – und bin dabei geblieben.
Hat der Chor-Hintergrund, die Erfahrung des Singens und Atmens, ihre Art, mit dem Orchester umzugehen, beeinflusst?
Zu Beginn waren das Chor- und das Orchesterdirigieren für mich noch sehr unterschiedliche Gebiete – was sie ja auch sind. Aber es gibt dieses Urgeschenk des Musikantischen, das jeder Mensch in sich trägt, ganz gleich, ob es sich instrumental oder vokal äußert – es ist das gleiche Musizieren. Insofern gibt es einen Unterschied, und auch wieder nicht. Mein Weg zu einer Partitur ist immer noch vom Singen geprägt. Wenn ich Werke vorbereite, singe oder spreche ich häufig Stimmen durch. Auch in den Proben, wenn ich den Musikern erklären oder vermitteln möchte, wie ich mir die eine oder andere Phrase wünsche, ist ein kurzes Vorsingen oft der klarste und direkteste Weg. Das ist schon eines meiner Hauptwerkzeuge.