Virtuos und vielschichtig

Leif Ove Andsnes im Gespräch über sein Konzert am 17.03.

Der Norweger Leif Ove Andsnes genießt weltweit hohes Ansehen als gefragter Konzertpianist. Zu seinen ambitioniertesten Projekten gehörte der mehrjährige Konzert-Zyklus ›The Beethoven Journey‹, der ihn innerhalb von vier Jahren zu 230 Konzerten in 108 Städten und 27 Ländern führte. Als begeisterter Kammermusiker leitet Andsnes seit zwei Jahrzehnten Festivals und gründete 2016 sein eigenes im norwegischen Rosendal. Beim DSO war er bereits mehrfach mit Klavierkonzerten von Mozart und Beethoven zu Gast. Am 17. März kehrt er mit dem Konzert von Benjamin Britten zum Orchester zurück.

Herr Andsnes, können Sie sich an Ihre erste Begegnung mit Brittens Klavierkonzert erinnern?

Oh ja, das weiß ich noch ganz genau. Als Student war ich ein großer Fan des Pianisten Swjatoslaw Richter – mein Lehrer Jirí Hlinka hatte ihm selbst ein paar Mal vorgespielt, da gab es also eine Verbindung. Ich hörte viele seiner Aufnahmen, darunter auch das Britten-Konzert, das er unter der Leitung des Komponisten eingespielt hatte. Damals war ich 18 Jahre alt und sofort von dieser Musik fasziniert. Mit 22 habe ich das Konzert dann zum ersten Mal gespielt.

Britten schrieb es mit 24 Jahren für sich selbst. Was für ein Pianist spricht aus der Partitur?

Er war ein wunderbarer Pianist, mit einer enormen Klangbeherrschung. Ich kenne keine frühen Aufnahmen von ihm, aber er muss damals recht virtuos gewesen sein, denn sein Konzert ist ein richtiges Bravourstück. Es ist also auch in pianistischer Hinsicht überaus reizvoll.

Wir würden Sie es beschreiben?

Als teils sehr extrovertiert, geradezu überschwänglich. Es hat vier Sätze und beginnt mit einer Toccata, die voller virtuoser Herausforderungen und interessanter Klangfarben steckt. Zugleich ist die Orchestration großartig gelungen und überaus originell, mit wunderschönen, überraschenden harmonischen Wendungen, die man so selten hört, auch wenn das Konzert sicherlich von seiner Zeit und von Komponisten wie Prokofjew oder Schostakowitsch beeinflusst sein mag. Der zweite Satz ist ein ironischer, bittersüßer Walzer, der letzte ein ziemlich pompöser Marsch. Im Angesicht des Entstehungsjahres 1938 und der Tatsache, dass der überzeugte Pazifist Britten kurz darauf, am Vorabend des Zweiten Weltkriegs, Europa verließ, bekommt das schon fast eine prophetische Komponente. Und mittendrin steht ein wunderschönes Impromptu, mit dem Britten 1945 den ursprünglichen dritten Satz ersetzte. Harmonisch gesehen leben Solist und Orchester darin in getrennten Welten. Dieses überaus eindringliche, nach innen gewendete Stück bildet einen Gegenpol zum Rest des sonst so extrovertierten Konzerts.

Jedes Stück hat eine Interpretationsgeschichte. Hören Sie sich auch Aufnahmen anderer Interpreten an?

Nicht, wenn ich ein neues Stück einstudiere, denn ich muss dazu meinen eigenen Standpunkt finden. Das Britten-Konzert habe ich allerdings schon einmal mit 25 aufgenommen und mir diese Aufnahme jetzt bei meiner Vorbereitung angehört. Interessanterweise fand ich einiges daran immer noch gut, mit anderem war ich dagegen nicht besonders glücklich. Mehr als einmal musste ich es dann auch nicht hören. [Lacht]

Der Cellist Jan Vogler erzählte hier vor zwei Monaten, er brauche den ständigen Wechsel von Konzertprogrammen, um sich nicht zu langweilen. Bei Ihnen ist das anders: Sie sagten einmal, Sie schätzten die Konzentration auf ein bestimmtes Thema oder einen Komponisten. Im Rahmen Ihrer ›Beethoven Journey‹ haben Sie sich vier Jahre lang fast ausschließlich mit den Konzerten und Sonaten des Komponisten beschäftigt. Warum ist Ihnen dieser Fokus so wichtig?

Ich habe mit Abwechslung kein Problem, aber ich gehörte nie zu den Musikern, die sieben verschiedene Klavierkonzerte in einem Monat aufführen. Das Britten-Konzert habe ich gerade nach 17 Jahren Pause mit großem Vergnügen erstmals wieder gespielt, und ich werde es im nächsten halben Jahr noch oft spielen, denn das Stück hat es verdient. Es stimmt allerdings, dass ich gerne an Projekten arbeite, die sich über mehrere Jahre hinziehen, gerade bei Aufnahmen, seien es Schubert-Sonaten, Werke von Beethoven, Haydn oder Liszt. Die intensive Beschäftigung mit einem Komponisten liegt mir eben sehr.

Wie wichtig ist für Sie das Wissen um einen Komponisten und sein Leben, wenn Sie ein Werk einstudieren?

Wirklich wichtig ist das selten, denn bei großer Musik steckt die Wahrheit meist in der Partitur. Britten stellt für mich vielleicht die einzige Ausnahme dar. An seiner Musik schätze ich vor allem ihre Vielschichtigkeit, darin ähnelt er Schostakowitsch. An der Oberfläche wirkt sie bisweilen einfach, doch darunter liegt mehr verborgen; die dunkle Einsamkeit in den Tiefen seiner Musik berührt mich ungemein. In den 90er-Jahren verbrachte ich mehrere Wochen in der Gegend, wo Britten gewirkt und komponiert hat. Ich machte Aufnahmen in Snape Maltings, dem Konzertsaal, den er für sein Aldeburgh Festival in einer alten Mälzerei geschaffen hat, ich besichtigte sein Haus und sah einige seiner Manuskripte. Dabei konnte ich die Natur, die Küste, die Einsamkeit der Landschaft sehr intensiv erleben; das hat mir tatsächlich beim Verständnis seiner Musik geholfen.

Auf dem Konzerprogramm am 17. März steht mit Strawinskys ›Le sacre du printemps‹ außerdem ein Werk, das Ihnen ebenfalls nicht fremd ist, haben Sie es doch gerade gemeinsam mit Ihrem Kollegen Marc-André Hamelin in der Fassung für zwei Klaviere eingespielt. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

Ich habe Marc-André 2008 zu meinem damaligen Kammermusikfestival eingeladen, bei dem futuristische Musik vom Anfang des 20. Jahrhunderts im Zentrum stand. Er hat immer interessantes Repertoire im Angebot, schlug aber auch die Klavierduo-Fassung des ›Sacre‹ vor. Es wurde solch ein Erfolg, dass wir es seitdem immer wieder gespielt haben. Natürlich kann man die Orchesterfassung durch nichts übertreffen. Aber das Klavier ermöglicht mit seiner Präzision, Perkussivität und Direktheit einen Blick ins Innere der Komposition und zeigt die harmonischen und rhythmischen Strukturen des Stücks in einer Klarheit auf, die in der Klangfarbenpracht der Orchestration manchmal ein wenig untergeht.

Das Gespräch führte MAXIMILIAN RAUSCHER.
Erschienen in den DSO-Nachrichten 03/04 2018.